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Wald-, Wiesen- und Lastenradler. Kassel.

Sommerrunde 2023 – Experiment 150

Wie viele Kilometer gehen eigentlich an einem Tag, bevor ich vom Rad kippe? Diese Frage zieht sich bei mir bereits durch das gesamte Jahr. Und nachdem die beiden #rideFAR Touren bereits neue Maßstäbe für mich gesetzt haben, wollte ich noch etwas weitergehen.

Für den Sommerurlaub stand Großeltern Hopping auf dem Plan. Und während Frau und Kind mit dem Zug reisten, habe ich mir die Strecken mit dem Gravelbike vorgenommen. Der dickste Brocken zuerst: Kassel-Weimar. Abzüglich Straßenbahn und nach gründlichster Routenplanung durch bikerouter.de („m11n“, beta) standen für Anfang August 146 km und 2040 hm auf dem Programm. Das Handy meldete eine Windwarnung und bevor es losgehen konnte, wollten erst noch Schuhe und Socken von der gestrigen Feierabendrunde mit dem Föhn getrocknet werden. Die allerletzten Regentropfen begleiteten mich gegen 8 Uhr zur Haltestelle und es ging mit der Straßenbahn nach Hessisch Lichtenau. Nach über einer Stunde Fahrtzeit fing ich dann endlich an in die Pedale zu treten. Durch das malerische Frau Holle Land ging es in Richtung Waldkappel. Der starke Wind war im Wald kein Problem, die Wege waren jedoch feucht bis matschig und teils stark ausgewaschen. Dies sollte sich im laufe des Tages langsam bessern, das Vorankommen und Kilometerschrubben erleichterte es jedoch nicht. Ein Wegstück mit zahlreichen umgestürzten Bäumen gab es noch als Sahnehäubchen obendrauf. Schön war sie aber, die Route. Hinter Hoheneiche dann ein persönliches Highlight: Ein Stückchen nagelneue Bundesautobahn. Ziemlich fertig, noch nicht eröffnet, sehr fotogen.


Bald darauf folgte aber auch der erste Tiefpunkt. Hinter Datterode warteten zwei knackige Anstiege. Als ich mein Rad endlich zur Schiefersteinhütte geschoben hatte war ich körperlich ziemlich geschlaucht und auch ernüchtert. Schon über zwei Stunden Fahrt, erst 34 km, fast 12 Uhr und reif fürs Bett. Hatte ich vielleicht das Essen etwas vernachlässigt? Erstmal Pause.
Das Höhenprofil für die nächsten Kilometer sah harmloser aus, und so mühte ich mich wieder aufs Rad. Nach einigen Tropfen ein vorsorglicher Stop an einer Jagdhütte, der Regen hielt sich jedoch zurück. Schieben an einem kurzen, steilen Stück an dem der Weg bis auf den Fels ausgewaschen war. Trail-Feeling auf einem Wanderweg. Und plötzlich war es da: Das ehemalige Ende der Welt. Der Todesstreifen. Die Grenze zwischen Hessen und Thüringen. In meinen Augen häufig ein sehr spannender und besonderer Raum. Und im Wald gelegen offensichtlich auch ein günstiger Ort für einen Hochsitz. Aber ist es moralisch nicht verwerflich an einer Grenze, an der früher Menschen erschossen wurden, heute Tiere zu erschießen? Die Frage lässt mich seit dem noch nicht ganz los… Aber die folgenden vier Kilometer Abfahrt ließen wieder fröhliche Gedanken aufkommen. Auf feinstem Gucci-Gravel durch den Wald. Herrlich!


Nur, wo es runter geht, geht es auch wieder rauf. Oder eben nicht. Auf der anderen Seite der Bundesstraße sollte es wieder steil auf einem Weg in den Wald gehen. Es gab sogar gleich zwei Wege. Ich entschied mich für den Linken und schon bald schob ich das Rad schweißtreibend durch tiefes Laub. Aber der Weg machte eine Biegung in die falsche Richtung und war absehbar auch nicht weiter passierbar. Der Rechte Weg zeigte in eine bessere Richtung, lag jedoch auf der anderen Seite eines tiefen, steilen Grabens. Also wieder bergab schieben und mit der Abenteuerlust als treibende Kraft den anderen Weg hinaufschieben. Tiefes Laub, Äste, Grünzeug, mehr Grünzeug, Kräfte schwindend, Sackgasse. Motivation im Keller. Auch die Abenteuerlust hatte ein Ende gefunden und so beschloss ich entnervt, der Bundesstraße bis zur Werra zu folgen und den Berg einfach auf dem Flussradweg zu umfahren. Bloß keine bösen Überraschungen mehr, es wollen schließlich 150 km gefahren werden. Der massive Gegenwind brachte mich aber schnell wieder zur Vernunft. Ich drehte um und folgte einem markierten Wanderweg hinauf in den Wald. Gute Entscheidung! Ich wurde mit einem beschaulichen Flecken Erde und einer ruhigen Nebenstraße hinab nach Scherbda belohnt. Wieder auf der geplanten Route ging es weiter hinab zur Werra und nach Mihla. Snack-Nachschub aus dem Supermarkt und Pause beim Bäcker. Als ich wieder aus dem Laden kam, hatte sich zu meinem Rad noch ein Lastenrad gesellt. Familienurlaub mit den Rädern und auch Anhängern erzählte mir der Fahrer. Sehr cool!


Anschließend wartete der nächste große Anstieg hinauf in den Hainich. Es war steil, der Weg war schlecht, aber ich biss mich durch. Oben angekommen rollte es besser und auch bald wieder bergab. Kurzer Fotostop an der Betteleiche und sonst kein Mensch weit und breit. Aus dem Wald herausen, gab es eine wunderbare Weitsicht über das Land. Ein paar Meter Asphalt taten den Beinen gut. Hinter dem nächsten Waldstück wartete das Restaurant Harthhaus. Das hatte ich in meinem Verpflegungs-Roadbook markiert und irgendwie Hüttenromantik erwartet. Aber man kann es sich auch einfach sparen. Erwartet bitte keine ernsthafen Käsespätzle. Aber der Hunger war da und sie lagen wenigstens nich schwer im Magen.

Auf dem Höhenprofil rückte die nächste Talsohle und der anschließende Anstieg immer näher. Schaffe ich das noch? Will ich das noch? Und während ich in der Ferne sah, wie sich der Regen über Bad Langensalza ergoss, beschloss ich den letzten Berg zu umfahren und den Erfurter Hauptbahnhof anzusteuern. Hinter Burgtonna wechselte ich auf eine spontane Komoot-Planung die mir zwar ein Stück Bundesstraße bescherte, hinter Dachwig jedoch ziemlich OK wurde. An der Gera entlang ging es entspannt und flott in die Erfurter Innenstadt und an der Krämerbrücke vorbei. Am Hauptbahnhof angekommen ließ der Regionalexpress nach Weimar nicht lange auf sich Warten und in den letzten Sonnenstrahlen kam ich an meinem Ziel an.
Ja, ich war durchaus leicht geknickt. Mein Ziel hatte ich nicht erreicht. Insgesamt rund 130 km, 1950 hm, 5000 verbrannte Kalorien und 7,5 Stunden im Sattel sind aber natürlich trotzdem eine starke Leistung. Gerne wäre ich früher gestartet. Die steilen Anstiege und der Zustand der Wege war unerwartet kräftezehrend. Dazu das windige und unsichere Wetter. An einem anderen Tag hätte es vielleicht geklappt, diesmal nicht.